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Algorithmus oder Bauchgefühl? | Accelerom

Geschrieben von Accelerom Team | 16.10.19 22:00

Die schiere Menge an Touchpoints, die heutzutage entlang der Customer Journey zu finden sind, erfordert ein durchdachtes Touchpoint-Management. Wie man mit einem Algorithmus die relevanten Berührungspunkte entdecken und richtig nutzen kann, erklären Christoph Spengler und Catherine Ammann in einem Beitrag in der Fachzeitschrift planung&analyse.

Autor:innen: Catherine Ammann & Christoph Spengler

 

 

Erfahrungsgemäß managen Unternehmen heute weit über 100 Touchpoints entlang der Customer Journey. Der Versuch, auf allen Touchpoints präsent sein zu wollen, ist nicht nur eine Sisyphusarbeit, sondern angesichts der immer knapper werdenden Budgets kaum noch zu bewerkstelligen.

Doch fokussieren bedeutet entscheiden. Monetäre Entscheidungen auf dünnen Grundlagen zu treffen, führt bekanntlich zu lähmender Verunsicherung mit immer denselben Fragen: Setzen wir wirklich auf die richtigen analogen und digitalen Touchpoints? Haben wir ausreichend Budget auf die unterschiedlichen Touchpoints allokiert?

Immer häufiger klaffen zudem Bauchgefühl und Fakten weit auseinander. Seit Jahren stellen wir unseren Auftraggebern die Frage: Welches sind für Ihre Kunden die zehn wichtigsten Touchpoints in der Customer Journey, wenn sie Ihr oder ein vergleichbares Produkt kaufen? Der Abgleich zwischen Innen- und Außensicht ist ernüchternd. Lediglich sechs der zehn für die Kunden wichtigsten Touchpoints werden im Schnitt richtig erraten. Der Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderungen liegt in einem ganzheitlichen und messbaren Touchpoint-Management, welches alle Phasen der Customer Journey mitberücksichtigt.

 

Bedeutung eines ganzheitlichen Touchpoint-Managements

Ziel eines ganzheitlichen Touchpoint-Managements ist die Fokussierung auf den Kunden. Wesentlich hierbei ist die empirische und systematische Bewertung der Touchpoints entlang der Customer Journey. Kunden kommen auf ihrer persönlichen Customer Journey mit den unterschiedlichsten Touchpoints in Berührung. Das Spektrum reicht vom Plakat über den Webshop bis hin zum persönlichen Beratungsgespräch.

Um die Wirkung der unterschiedlichen Touchpoints beurteilen zu können, verwenden wir einheitliche Währungen. Aufgrund dieser einheitlichen Messbarmachung aller Touchpoints lässt sich sowohl die Wirkung von analogen und digitalen Touchpoints wie auch Owned, Paid und Earned Touchpoints erfassen und vergleichen. Die Datenbasis für diesen Ansatz bilden Marktforschungsdaten. Nebst dem Kundenverhalten werden auch die Touchpoints abgefragt, welche mittels fünf unterschiedlicher Metriken operationalisiert werden – jede Metrik steht für eine Phase der Customer Journey.

Die ersten beiden Phasen der Customer Journey geben Aufschluss über die passive und aktive Reichweite eines Touchpoints. Während die passive Reichweite (Awareness) die Frage beantwortet, über welche Touchpoints die Kunden aufmerksam werden, gibt die aktive Reichweite (Consideration) Aufschluss darüber, über welche Touchpoints sich die Kunden informieren. Basierend auf den beiden Reichweiten, welche in Prozent angegeben werden, lässt sich auch die Total Audience, das heißt die kombinierte Reichweite mehrerer Touchpoints, berechnen. Bei den drei anschließenden Phasen kommen der Informations-, der Transaktions- und der Attraktivitätswert zum Tragen. Diese drei Werte sind zwischen 0 und 100 skaliert und ihr Durchschnittswert bildet die Relevanz eines Touchpoints (Touchpoint Value) ab. Die Relevanz entspricht vereinfacht gesagt der emotionalen Präferenz aus Kundensicht und gibt somit Aufschluss darüber, ob dieser Touchpoint gerne genutzt wird. Diese Herangehensweise wurde gemeinsam mit dem Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich entwickelt und validiert. Während diese Werte zwar die Kundensicht widerspiegeln, beschreiben sie jedoch lediglich die Wirkung der Touchpoints.

 

Optimaler Touchpoint-Mix

Nachvollziehbar interessiert in der Umsetzung nun, mit welcher Kombination von Touchpoints die Customer Journey – ausgerichtet auf ein spezifisches Ziel oder eine Zielgruppe – effektiv abgedeckt werden kann. Sicherlich keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass sich bei 80 Touchpoints rein theoretisch 1024 Kombinationsmöglichkeiten ergeben. Alle diese Kombinationsmöglichkeiten innerhalb einer überschaubaren Zeit miteinander zu vergleichen, ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Einen Ausweg bieten hierbei smarte Algorithmen. Die optimalen Touchpoint-Mixes unterscheiden sich je nach gestecktem Ziel. Bei der Konfiguration des Algorithmus werden drei Elemente berücksichtigt:

In einem ersten Schritt wird eine Auswahl der Touchpoints getroffen. Grundsätzlich macht eine Fokussierung auf jene Touchpoints Sinn, welche auch durch das Unternehmen gesteuert werden können. Schwierig beeinflussbare Touchpoints, wie etwa die Empfehlung von Freunden, werden somit nicht berücksichtigt.

Im zweiten Schritt wird jene Zielgruppe ausgewählt, für die der optimale Touchpoint-Mix berechnet werden soll.

Dann wird die Gewichtung der unterschiedlichen Phasen der Customer Journey festgelegt. Will man beispielsweise die Bekanntheit einer Marke erhöhen, wird der optimale Mix mit einer stärkeren Gewichtung der Phasen zu Beginn der Customer Journey ermittelt. Im Wissen, dass die optimale Lösung, welche durch den Algorithmus generiert wird, nicht immer eins zu eins im Geschäftsalltag umgesetzt werden kann, sind solche Erkenntnisse für die Erfolgssteuerung eines Unternehmens äußerst relevant.

 

Mit smarten Lösungen zum Ziel

Um zeiteffizient die beste Lösung auf die Frage nach dem optimalen Touchpoint-Mix zu erhalten, werden genetische Algorithmen eingesetzt. Genetische Algorithmen sind in der Lage, aus einer sehr großen Zahl von möglichen Lösungen die beste zu ermitteln. Ihre Funktionsweise basiert auf dem darwinistischen Evolutionsprinzip. Die Ausgangslage ist eine Population bestehend aus mehreren Genotypen. Jeder Genotyp ist eine zufällig generierte Variante eines Touchpoint-Mixes. Im Sinne des Survival of the Fittest wird durch Selektion sichergestellt, dass die zweite Generation, die auf diese erste Population folgt, minestens eine genauso gute Modellgüte aufweist oder sogar noch besser an die Herausforderungen angepasst ist. Von Generation zu Generation werden so neue Mixes generiert, verglichen und verbessert, bis am Ende der optimale Mix steht.

Eine algorithmusbasierte Lösung klingt vielversprechend. Doch ist diese Lösung wirklich auch die beste? Um den Algorithmus einem Härtetest zu unterziehen und die im Raum stehende Frage abschließend zu beantworten, wurde eine Fallstudie entwickelt. In den vergangenen drei Jahren haben mehr als 300 Studierende in Weiterbildungsstudiengängen aus der Schweiz und Deutschland diese Fallstudie gelöst. Die Algorithmus-Lösung bleibt jedoch ungeschlagen.

Eine weitere spannende Erkenntnis ist, dass sich die Vorschläge der Studierenden stark unterscheiden. Wenige waren nahe an der besten Lösung, die Mehrheit war weit davon entfernt. Diese immense Streuung kann auch einem Unternehmen schnell zum Verhängnis werden: Mal fruchtet die Kommunikationsstrategie, mal nicht. Woran es liegt, kann im Nachhinein nicht mehr eruiert werden. Dank der empirischen, algorithmusbasierten Touchpoint-Methode können konkrete Fragen nun präzise beantwortet werden. Strategien und Kampagnen werden nicht nur messbar, sondern vergleichbar.

Verschiedenste Praxisbeispiele zeigen, dass mittels smarter Simplifizierung Komplexität überwunden und gleichzeitig mehr Markterfolg erzielt werden kann. Egal ob es dabei um ein Finanzinstitut, um ein Transportunternehmen oder um einen Händler geht: Der Algorithmus berechnet über alle Branchen hinweg den optimalen Touchpoint-Mix.

 

 

planung&analyse - Algorithmus oder Bauchgefühl - 4/2019