Die Möglichkeiten in der Omnichannel-Welt übersteigen zunehmend die Kapazitäten vieler Unternehmen. Auch hat nicht alles, was möglich ist, einen positiven Effekt auf den Impact und bringt das Unternehmen in puncto Kundenorientierung weiter. Der Gastbeitrag soll dazu inspirieren, wie man diese Herausforderungen zielführend angehen kann.
Autor: Christoph Spengler
Es sind doch immer die Kleinigkeiten, die ein aussergewöhnliches Kundenerlebnis ausmachen! Wie sagen Expert:innen aus dem Einzelhandel und der Konsumgüterindustrie doch so treffend: Retail ist Detail! Dies bewahrheitet sich auch beim Kundenprozess «Anruf Service-Hotline» (Inbound), den ich in diesem Beitrag etwas ausführlicher beleuchten möchte.
Für einen herausragenden Telefonservice gab es schon immer einige Regeln, z.B. «Lassen Sie die Kund:innen nicht länger als 2 Minuten in der Warteschleife, ohne sich kurz zu melden.» oder «Lassen Sie das Telefon zweimal klingeln, bevor Sie den Hörer abnehmen.». Eigentlich ganz einfach.
Ohne Frage ist «Anruf Service-Hotline» auch heute noch ganz wichtig, wenn Unternehmen, Behörden oder Organisationen mit (potenziellen) Kund:innen kommunizieren möchten.
Doch es erstaunt niemanden, dass eine routinierte Durchschnittskund:in auf dem Touchpoint «Anruf Service-Hotline» immer seltener anzutreffen ist. Damit Durchschnittskund:innen auf diesem Touchpoint wirklich aktiv werden, muss schon eine «Ich-weiss-nicht-mehr-weiter-Situation» vorliegen. Klar, es gibt sicherlich einige, die aus Bequemlichkeit, Langeweile oder aufgrund von Sprachbarrieren anrufen. Im Regelfall fallen diese Motive doch in einem überschaubaren Mass an.
Doch zurück zum «Anruf Service-Hotline»: Diese Notfall-Situationen sind wirklich äusserst subjektiv und individuell. Das Spektrum reicht vom verschwundenen Postpäckchen über das kaputte Smartphone bis hin zu Problemen bei der Bezahlung einer Rechnung. Und in solchen Situationen muss es bekanntlich immer superschnell gehen! Tut es aber – gefühlt zumindest – fast nie.
Doch bevor man überhaupt in den Genuss eines Gesprächs mit der Call-Center-Agent:in kommen kann, muss zuerst die Service-Hotline-Nummer gefunden werden. Und dies ist nicht immer eine einfache Mission, vor allem beim ersten Mal.
Bei (zu) vielen Anbietern findet man die Hotline-Telefonnummer erst nach einer eher nervigen Herumklickerei und langen Sucherei. Hinzu kommen weitere Unsicherheiten: Handelt es sich um eine Gratisnummer? Ist die angegebene Nummer aus dem Ausland überhaupt anwählbar?
Und dann gibt es einige Unternehmen, Behörden oder Organisationen, die es sich ganz einfach machen! Sie versenken die Hotline-Telefonnummer in den Untiefen ihrer Webseite. Das einzige Angebot: Ein Kontaktformular.
Sie ahnen es schon: Nicht selten beginnt mit dem Griff zum Telefonhörer ein kleiner Spiessrutenlauf. «Bitte wählen Sie die richtige Zahl für Ihre Sprache?» oder «Bitte wählen Sie nun die richtige Zahl für Ihr Anliegen?». War es die Eins, die Zwei oder vielleicht doch die Drei? Oder könnte es sogar die Vier gewesen sein?
Hat man diese Knobelaufgabe gemeistert, wird man minutenlang mit schriller Dosenmusik oder gar Werbe-Tohuwabohu zugedröhnt. Unnötig zu erwähnen, dass wir alle mit der Customer Experience «endlos in der Warteschleife» bestens vertraut sind.
Ganz nah an der Frustrationsgrenze braucht es für alle Geduld. Zum Glück sind viele Agent:innen heute wirklich gute Stressmanager:innen für sich selbst, aber auch für ihre Kund:innen. Sie sind kaum aus der Ruhe zu bringen! Das stärkt das Wohlbefinden aller Beteiligten!
Den meisten Kundenprozessen und Touchpoints steht ein Totalumbau bevor. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, wie z.B. Kundenerwartungen, Wettbewerbsfähigkeit, Technologie bis hin zum Fachkräftemangel.
Generell: Kundenprozesse müssen effizienter und effektiver werden. Mit Blick auf die Problemlösung erwarten Kunden heute, dass diese beim ersten Anruf oder Kontakt 100%ig gelöst werden. Die etablierte Kennzahl dafür ist die First Call Resolution (FCR).
Dies bringt mich direkt zum zentralsten Erfolgsfaktor von Kundenprozessen: Kundenprozesse wie aus dem Bilderbuch sind einfach. Die Frage muss daher erlaubt sein, ob Kundenprozesse mit vielen Gadgets wirklich kundenfreundlicher sind und die Zufriedenheit heben? Ich gebe zu, es fällt mir schwer, dies zu glauben.
Videotelefonie liegt im Trend! So ist beispielsweise eine persönliche Beratung in der Agentur oder im Geschäft nicht mehr so häufig gewünscht. Auch im After-Sales-Service wird die Videotelefonie immer häufiger genutzt. Hierzu ein Beispiel: Bei einer Störung eines Haushalt- oder Bürogerätes können Servicemitarbeiter:innen ganz einfach bei der Problemanalyse und -lösung über die Smartphone-Kamera unterstützen. Dadurch fallen auch hier lange und teure Reisewege weg – Kosten werden eingespart. Rasch und unkompliziert kann geholfen werden.
Und beim «Anruf Service-Hotline»? Warum muss immer noch so lange in der Leitung gewartet werden? Die gleichen Probleme am Telefon mehrmals beschrieben werden?
Abbildung 1: Warteschlange oder Rückruf? Mit einem Click im Browser erscheint bei Amazon der Anrufservice mit allen relevanten Informationen. Unser Test hat ergeben, dass er funktioniert.
Mit einem fortschrittlichen Anrufservice können wichtige Herausforderungen mit Blick auf Kundenwünsche bereits heute elegant gelöst werden:
Call-Center-Agent:innen können sich besser auf das Gespräch vorbereiten und Kund:innen dank Wissensvorsprung besser beraten
Wartezeiten und Bearbeitungszeiten können minimiert werden
So gesehen lohnt sich, die Frage zu stellen, welche Touchpoints im Kundenprozess «Anruf Service-Hotline» in Zukunft tatsächlich eine Rolle spielen? Braucht es das ganze Paket mit IVR (Interactive Voice Response), FAQ (Frequently Asked Questions), Kundencommunity, Chatbot usw.? Mit Blick auf die Servicequalität sollte die Mutter aller Fragen doch sein: Wie können wir das Kundenerlebnis ganz konkret verbessern und gleichzeitig Kosten einsparen?
Abbildung 2: Mittels Advanced Analytics werden je nach Zielgruppe die besten Mixes mit digitalen und analogen Touchpoints für unterschiedliche Kundenprozesse ermittelt. Dadurch kann die Marktbearbeitung hinsichtlich Effizienz und Effektivität optimiert werden.
Also ich für meinen Teil wäre mit einem verlässlichen Anrufservice in den meisten Fällen superhappy! Ist meine Meinung in irgendeiner Form repräsentativ bzw. aussagekräftig? Ich denke nicht.
Umso relevanter ist es, die Transformation der zentralen Kundenprozesse in der Marktbearbeitung mit Blick auf unterschiedliche Kundentypen zu führen. Sozusagen von der Aussensicht, und zwar auf der Grundlage von validierten Personas sowie einer belastbaren Touchpoint-Analyse. Auch damit spart jedes Unternehmen Zeit und Geld.
Und natürlich sind auch nicht alle Erkenntnisse sofort umsetzbar. Unser Kompass für «Kundenorientierung» mit seinen vier Dimensionen hilft, Ordnung zu schaffen. Alle relevanten Dimensionen werden durchleuchtet: «Kundenerlebnis», «Kundenprozess», «Technologie und Daten» sowie «Unternehmenskultur». Je nach Reifegrad des Unternehmens kann es durchaus Sinn machen, sich zuerst auf Trainings der Mitarbeiter:innen zu konzentrieren und nicht auf das Trendthema Künstliche Intelligenz (KI) aufzuspringen. Systematisch werden in der Standortbeurteilung Chancen identifiziert und klare strategische und operative Prioritäten für die Umsetzung gesetzt.
Abbildung 3: Vier zentrale Dimensionen von Kundenorientierung: Kundenerlebnis, Kundenprozess, Technologie und Daten sowie Unternehmenskultur.
Mit so einem Kompass kann der Frage nachgegangen werden, wo ein Unternehmen, Behörde oder eine Organisation in puncto Kundenorientierung steht und wo es Sinn macht, anzusetzen:
Auslegeordnung (IST-Analyse): Wo steht das Unternehmen in puncto Kundenorientierung?
Zielgruppen besser verstehen: Was sind die Bedürfnisse und Erwartungen meiner (potenziellen) Kund:innen?
Reduktion der Komplexität: Welche Touchpoints sind wirklich relevant für den Kundenprozess?
Optimierung des Kundenerlebnisses: Wie kann das Kundenerlebnis konkret verbessert werden?
Blick in die Zukunft: Wo und wie kann KI helfen, Kundenprozesse qualitativ und quantitativ weiter zu verbessern?
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