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KI zwischen Illusion und echter Intelligenz | Accelerom

Geschrieben von Christoph Spengler | 12.02.25 12:24

Die Erwartungen von Kunden sind heute höher denn je. Der oft zitierte Satz «Service ist das neue Marketing» bringt es auf den Punkt: Ein hervorragendes Produkt allein reicht nicht mehr aus. Entscheidend ist ein Kundenerlebnis, das die Sorgfalt und Aufmerksamkeit eines Fünf-Sterne-Hotels widerspiegelt – ein Service, der die Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertrifft. Doch wie kann Künstliche Intelligenz dazu beitragen, solch aussergewöhnliche Kundenerlebnisse zu schaffen?

Autor: Christoph Spengler

 
Die Fortschritte, die Künstliche Intelligenz (KI) bereits in unseren Alltag gebracht hat, sind beeindruckend und unübersehbar – und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Als begeisterter Anwender erkunde ich diese Technologien selbst mit grosser Neugier. Doch die zentrale Frage lautet nicht: «Ob KI nützt?», sondern vielmehr: «Wie und in welchen Anwendungen?»
 

Der "Kluge Hans": Das Pferd, das rechnen konnte

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit zeigt, wie weit Erwartungen und Realität oft auseinanderliegen. Der „Kluge Hans“ – ein Pferd, das Anfang des 20. Jahrhunderts angeblich rechnen konnte –entpuppte sich nicht als Mathematiker, sondern als Experte in der nonverbalen Signalerkennung seines Besitzers. Das Pferd von Elberfeld verdeutlicht, wie essenziell es ist, die Fähigkeiten von KI realistisch zu bewerten. Heute beeindrucken uns KI-Systeme mit Ergebnissen, die auf den ersten Blick intelligent erscheinen, jedoch häufig auf reiner Mustererkennung basieren. Um das Potenzial von KI voll auszuschöpfen, genügt es nicht, allein auf die Technik zu vertrauen. Entscheidend ist, die Bedürfnisse, Erwartungen und Erfahrungen der Kunden wirklich zu verstehen und in den Mittelpunkt zu stellen.
 

Von Hygienefaktoren zu echten Erlebnissen

KI revolutioniert die Marktbearbeitung durch Automatisierung, Personalisierung und Datenanalyse. Doch viele dieser Technologien sind bereits zum Standard geworden – sogenannte Hygienefaktoren, die kaum noch bewusst wahrgenommen werden. Auffällig werden sie meist erst dann, wenn sie nicht wie erwartet funktionieren – etwa, wenn eine Webseite nicht erreichbar ist oder eine App nicht wie vorgesehen arbeitet. Uniforme Erlebnisse schaffen zudem kaum emotionale Bindung oder Differenzierung. Standardisierte Angebote bleiben selten in Erinnerung
und werden noch seltener weiterempfohlen. Wie kann ein Unternehmen oder eine Marke also wirklich hervorstechen?
 

Vom Kampagnenfokus zum Always-on-Ansatz

Noch vor wenigen Jahren genügten häufig zeitlich begrenzte Kampagnen, um Aufmerksamkeit zu erzielen und Verkäufe anzukurbeln. Heute steht ein Paradigmenwechsel bevor: Statt auf einzelne Kampagnen zu setzen, gewinnen Always-on-Konzepte an Bedeutung. Sie zeichnen sich durch dauerhafte Präsenz, kontinuierliche Relevanz und nachhaltige Sichtbarkeit aus. In solchen Ansätzen wird Kreativität zum entscheidenden Erfolgsfaktor – auch in Branchen wie der Finanz- und Versicherungswirtschaft.
 

Kreativität trifft Technologie: Autoversicherung neu gedacht

Moderne Apps schaffen innovative Kundenerlebnisse, indem sie beispielsweise im Bereich der Autoversicherungen den Fahrstil der Nutzer analysieren und belohnen. Witzige Rückmeldungen
wie «Heute bist du gefahren wie ein Rennfahrer – leider mit der Geschwindigkeit eines Traktors» machen ernste Themen sympathisch und greifbar. Gleichzeitig belohnt die App achtsames Fahrverhalten mit Vorteilen wie niedrigeren Versicherungskosten, reduzierten CO₂-Emissionen und
attraktiven Prämien. Und wenn man bedenkt, dass sich die Hauptinteraktion unfallfreier Kunden in der Regel auf das Begleichen der jährlichen Rechnung beschränkt, kann die Entwicklung einer solchen Kundenbeziehung durchaus als bemerkenswerter Fortschritt betrachtet werden. Diese Kombination aus Sicherheit, Nachhaltigkeit und Unterhaltung schafft Mehrwert für den Nutzer und stärkt die Kundenbindung.
 

Servicekultur: Eine gemeinsame Aufgabe

Hervorragender Service ist keine Frage der Technologie, sondern der Unternehmenskultur. Service sollte in jeder Abteilung verankert sein – von der IT über die Logistik bis hin zur Geschäftsleitung.
 
  • IT: Geht über die reine Durchführung von Software-Updates hinaus und sorgt dafür, dass der Kaufprozess auf der Website so benutzerfreundlich wie möglich gestaltet ist.
  • Logistik: Versteht, dass «schneller Versand» mehr ist als ein Versprechen – es ist eine Verpflichtung gegenüber den Kunden.
 
Ein wirklich kundenorientiertes Unternehmen entsteht nur dann, wenn der Servicegedanke in allen Bereichen gelebt wird. Hier kann KI eine entscheidende Rolle spielen: Durch nahtlose, abteilungsübergreifende Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, Marketing, Kommunikation und Service wird das volle Potenzial der KI freigesetzt. So lassen sich nicht nur Prozesse optimieren, sondern auch Kundenerwartungen übertreffen.
 

10 Beispiele, wie KI den Kundenservice verbessern kann

 
  • Chatbots: Beantworten häufige Fragen rund um die Uhr.
  • Spracherkennungssysteme: Leiten Anfragen präzise weiter.
  • Personalisierte Empfehlungen: Passen Produkte an individuelle Kundenbedürfnisse an.
  • Sentiment-Analyse: Erkennt Kundenstimmungen für gezielte Reaktionen.
  • Automatisierte E-Mails: Generieren passende Antworten, basierend auf Schlüsselwortern.
  • Virtuelle Assistenten: Unterstützen Kunden über Alexa, Google Assistant & Co.
  • Live-Chat-Support: Liefert Supportmitarbeitenden Echtzeit-Antwortvorschläge.
  • Predictive Analytics: Sagt Kundenverhalten voraus, etwa Abwanderungsrisiken.
  • Omnichannel-Integration: Verknüpft Daten aus verschiedenen Kanälen.
  • Übersetzungs-KI: Ermöglicht globalen Kundenservice in Echtzeit.

Verstehen wir unsere Kunden wirklich?

Unternehmen verlieren häufig den Blick für ihre Kunden, da sie sich zu sehr auf Prozesse und Technologien konzentrieren. Doch was tun Kunden tatsächlich? Optimieren und automatisieren Unternehmen die richtigen Touchpoints? Unsere Analysen – darunter Touchpoint-Untersuchungen und Mix-Modellings – zeigen eine ernüchternde Realität: In rund 50 % der Fälle weicht die Unternehmenssicht erheblich von der Kundensicht ab. Wer glaubt, diese Lücke allein durch KI schliessen zu können, irrt. Die Trefferquote vieler KI-Modelle bleibt aktuell oft hinter der Einschätzungsgenauigkeit von Mitarbeitenden zurück. Weitere Erkenntnisse dazu finden sich in unserem Fachbeitrag «ChatGPT, Mitarbeitende oder Kunden: Wer kennt die Wahrheit der Customer Journey am besten?» (cmm360, Mai 2024).
 

Tiefes Kundenwissen: Der Schlüssel zur effektiven KI

Was kann falscher KI-Einsatz in der Marktbearbeitung möglicherweise verursachen? Risiken sind u.a. irrelevante Personalisierung, ineffektive Marktbearbeitungsmassnahmen, Vertrauensverlust oder gar Datenschutzverletzungen. Solche Fehler können rasch auch Reputationsschäden verursachen und letztlich zu Wettbewerbsnachteilen führen. Die Geschichte des «Klugen Hans» zeigt, wie wichtig sorgfältiges Versuchsdesign und realistische Erwartungen sind. KI beeindruckt durch Mustererkennung, doch echtes Verständnis – das, was den Kundenservice revolutioniert –erfordert tiefes Kundenwissen und Kreativität. Nur durch die Kombination von Technologie mit echtem Kundenverständnis wird der wahre Nutzen von KI im Kundenservice sichtbar und erlebbar.
 

Erfolgsfaktoren für nachhaltigen Erfolg mit KI:


  • Kundenzentrierung: Technologie allein reicht nicht aus – sie muss durch echtes Kundenwissen und Empathie ergänzt werden.
  • Grenzen der KI verstehen: KI ist ein Werkzeug, kein Ersatz für menschliches Urteilsvermögen.
  • Kreative Lösungen: Überzeugen durch einzigartige Erlebnisse, die überraschen und begeistern.
  • Always-on-Strategien: Kontinuität und Relevanz stärken die Kundenbindung.
  • Unternehmenskultur: Hervorragender Service beginnt bei den Menschen und ihrer Haltung, nicht bei der Technologie.

 

cmm360 - KI zwischen Illusion und echter Intelligenz - 02 / 2025