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Kundenzentrierung im Blindflug? | Accelerom

Geschrieben von Christoph Spengler | 13.03.23 23:00

Kundenzentrierung hat viele Vorteile. Darin sind sich die Entscheidungsträger:innen in der Marktbearbeitung einig. Doch in der Praxis treffe ich oft auf ein diffuses Kundenbild. Im Folgenden sind einige Erkenntnisse aufgeführt, die dabei helfen, das Kundenbild zu schärfen.

Autor: Christoph Spengler

 

 

"Die Bedürfnisse und Wünsche unserer Kund:innen sind der zentrale Fokus der gesamten Unternehmung. Kundenzentrierung ist die Grundlage jeder Abteilung des Unternehmens. Kundenbedürfnisse beeinflussen nicht nur Produkte, Preise oder das Handeln unserer kundennahen Abteilungen wie Vertrieb, Marketing, Service etc., sondern die gesamte Unternehmensstrategie, alle Strukturen und Prozesse." – so oder so ähnlich steht es beinahe auf jeder Webseite, welche das Thema Kundenzentrierung aufgreift.

 

Unscharfes und uneinheitliches Kundenbild

In den letzten Monaten habe ich in Gesprächen mit unterschiedlichsten Expert:innen und Spezialist:innen immer wieder gehört, dass die vorhandenen Kundenbilder im Unternehmen oft eher dünn ausfallen oder gar mit Vorsicht zu beurteilen sind. Einige Aussagen sind bei mir hängengeblieben:

  • "Unsere Personas wurden nie validiert."
  • "Jede Abteilung hat ihre eigenen Zielgruppen."
  • "Unsere Kundenbilder sind noch aus der Zeit vor Corona."
  • "Wir kennen nur unsere Kund:innen. Nicht-Kund:innen haben wir nicht näher untersucht."

Wenn ich das richtig verstanden habe, dann wird in vielen Unternehmen Kundenzentrierung mit einem unscharfem Kundenbild oder gar einer Vielzahl an unterschiedlichen Kundenbildern gelebt. Liegen hier nicht grosse Erfolgspotenziale brach?

 
 

Abbildung 1: Zentrale Elemente der Kundenzentrierung in der Marktbearbeitung – Eigene Grafik: Accelerom AG

Immer mehr Aufwind erhält Kundenzentrierung aktuell über die Projektthemen "Individualisierung", "Digitalisierung" und "Automatisierung". Solche Projekte können aber auch schnell zu einer grösseren Baustelle werden, bei der man sich - trotz aller Diplomatie und Fingerspitzengefühl - nicht viele Freund:innen macht. Denn rund um die Themen Kund:innen, Touchpoints und Customer Journeys offenbaren unterschiedliche Blickwinkel und Sichtweisen fast babylonische Zustände. Die IT arbeitet mit Personas für die digitale Journey, das Marketing adressiert unterschiedliche Typen von Werbezielgruppen und die Produktentwicklung arbeitet mit einer Marktsegmentierung des Branchenverbands. Jede Abteilung verfolgt mit ihrem Ansatz unterschiedliche Zwecke, wie beispielsweise das Customer Experience Management oder die Automatisierung. Dabei gerät in Vergessenheit, dass alle Abteilungen eigentlich mit den gleichen Kund:innen interagieren ‒ oder es zumindest versuchen. Dazu kommt, dass häufig unklar ist, wer im Unternehmen für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Zielgruppen und Personas zuständig ist.

 

Wie die Kundenzentrierung im Unternehmen gestärkt wird:

  • Einheitliches Kundenbild (Single Customer View oder abgekürzt SCV), welches sowohl tatsächliche als auch potenzielle Kund:innen beschreibt und in den Köpfen der Mitarbeiter:innen verankert ist
  • Ganzheitlicher Blick auf Kund:innen und Nicht-Kund:innen entlang der ganzen Customer Journey. Gemeint ist vor allem das Informations- und Kaufverhalten  –  weniger die betrieblichen Kundenprozesse
  • Eine überschaubare Anzahl an Segmenten, Personas und Zielgruppen mit relevanten Unterscheidungskriterien
  • Datengestützte Validierung von Personas und Zielgruppen – Miteinbezug von betrieblichen Daten, Marktforschung etc.
  • Verknüpfung und Optimierung von Zielgruppen, Touchpoints und Schlüssel-Themen (Customer Journey Orchestrierung)
  • Überwinden des Silodenkens und Stärkung einer kollaborativen Zusammenarbeit
  • Nutzbarmachung in der Automatisierung wie z.B. Integration der Persona und Zielgruppen im Customer Relationship Management (CRM)
  • Schaffen einer zentralen, integrierten Datenbasis, wie z.B. Customer Data Platform (CDP)
  • Klärung von Verantwortlichkeiten und Aufgaben für die Weiterentwicklung des Kundenbildes im Unternehmen
 

Individualisierung, Digitalisierung und Automatisierung – und doch fehlt das Kundenverständnis: Dazu kommt mir ein Beispiel eines Mode-Einzelhändlers in den Sinn, bei dem ich schon seit vielen Jahren einkaufe. Vor gut zwei Monaten erhielt ich den ersten individualisierten Newsletter - so war er zumindest angekündigt: «Unsere ganz persönlichen Vorschläge mit Ihren Lieblingsmarken für die nächste Saison!» Wer würde da nicht neugierig werden? Auch ich liess mich überraschen und öffnete den Newsletter. Ich verrate gerne, welche Erfahrung ich gemacht habe: 9 von 10 Marken habe ich weder in meinem Kleiderschrank noch fand ich die Auswahl besonders ansprechend! So viel zum Kundenverständnis.

 

Und jetzt?

Vielfach mangelt es gar nicht so sehr an einem umfangreichen Wissen über die eigenen Kund:innen. Womöglich ist dieses Wissen über zu viele Mitarbeiter:innen und Abteilungen verstreut, nicht systematisch gesammelt oder dokumentiert und somit nicht für alle zugänglich. Genau dies hat sich oft in Projekten, die wir begleiten durften, gezeigt. Ich denke, da sind wir uns alle einig: Ein klares und validiertes Kundenbild ist ein Grundpfeiler für die Kundenzentrierung, insbesondere um in Zeiten der Digitalisierung die Potenziale voll auszuschöpfen. Aus diesem Grund rufe ich zu einer externen Validierung des Kundenbildes auf!

 

 

 

Unterschiedlichste Begriffe und Definitionen

Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, habe ich die verwendeten Begriffe rund um Kundenzentrierung beschrieben. Warum? In Gesprächen zeigt sich häufig, dass Begrifflichkeiten im Unternehmen je nach Abteilung ganz unterschiedlich verwendet und verstanden werden.

1. Kundenbild 

Als Oberbegriff beschreibt Kundenbild sowohl tatsächliche als auch potenzielle Kund:innen und sollte in den Köpfen der Mitarbeiter:innen verankert sein. Ein einheitliches Kundenbild wird oft als Single Customer View (SCV) oder Unified Customer View (UCV) bezeichnet.
 

2. Kundensegmente

Bei der Kundensegmentierung werden tatsächliche als auch potenzielle Kund:innen anhand verschiedener Faktoren in einzelne Segmente unterteilt. Mögliche Ziele können sein: • Cross- und Upselling-Aktivitäten auszusteuern; • potenzial- und bedürfnisorientierte Kommunikation zu gestalten; • für die Ansprache den bevorzugten Kanal zu wählen sowie • neue Produkte oder auch Services zu gestalten. Zentral ist es, bedeutsame Unterschiede zwischen den Gruppen aufzudecken, um daraus Schlussfolgerungen für segmentspezifische Strategien und Kampagnen zu ziehen. Zusammenfassend können Unternehmen mithilfe der Kundensegmentierung Ihre unterschiedlichen Zielgruppen leichter identifizieren und ansprechen.
 

3. Zielgruppen

Zielgruppen sind eine Gruppe von Personen, die ein Unternehmen mit seinen Marktbearbeitungsmassnahmen erreichen möchte. Zur Vermeidung von Streuverlusten werden in der Kommunikations- und Mediaplanung nur jene Touchpoints resp. Medien ausgewählt, welche für die Zielgruppe relevant sind. Häufig erfolgt die Unterscheidung nach: • Soziodemographische Kriterien, z.B. Alter, Geschlecht, Bildung • Verhaltensorientierte Merkmale, z.B. Markenwahl, Preisverhalten, Kaufvolumen • Psychologische Merkmale, z.B. Wahrnehmung, Motive, Nutzenvorstellungen Hilfreich für ein erfolgreiches Zielgruppen-Management ist auch eine klare Priorisierung: Welche Zielgruppe ist für uns strategisch am bedeutsamsten? Welche am profitabelsten?
 

4. Personas

Unter Personas werden häufig fiktive Beschreibungen ausgewählter Vertreter:innen einer Zielgruppe verstanden. So repräsentiert eine einzelne Persona die Eigenschaften und das Nutzungsverhalten einer ganzen Zielgruppe. Auch die Beschreibung der Personas sollte datengestützt erfolgen und geht über soziodemografische bis hin zu verhaltensbezogenen Merkmalen. Auch hier empfiehlt es sich, die Avatare regelmässig einem Realitätscheck zu unterziehen und auch weiterzuentwickeln.
 

 

Horizont - Kundenzentrierung im Blindflug? - 3/2023