Kundinnen und Kunden zu verstehen und sie emotional abzuholen, ist heutzutage eine hohe Kunst. Vor allem bei der Vielzahl an Touchpoints, die durch den Digitalisierungsschub während der letzten zwei Jahre hinzugekommen sind. Christoph Spengler von Accelerom bringt Licht hinter die Sache und gibt Tipps im Umgang mit Touchpoints entlang der Customer Journey.
Ihr WdM-Web-Seminar am 16. Mai findet unter dem Titel “Wie Sie Customer Journeys validieren und Schlüssel-Touchpoints identifizieren” statt. Was hat sich im Bereich der Customer Journey in den letzten zwei Jahren getan?
Christoph Spengler: Zweifelsohne waren die letzten beiden Jahre stark vom Ausbruch der COVID-19-Pandemie geprägt. Unser Alltag hat sich auf einen Schlag verändert – denken wir beispielsweise an die immer strikteren Ausgangsbeschränkungen oder die Homeoffice-Pflicht. Die Pandemie hat die Digitalisierung vorangetrieben: Wir bleiben über Chats in Kontakt, arbeiten im Homeoffice, bestellen Einkäufe lieber über Lieferando oder Gorillas und planen in unserer Freizeit einen virtuellen Museumsbesuch. Diese Veränderungen legen nahe, dass sich unser Informations- und Kaufverhalten nachhaltig verändern wird.
Als Pioniere sind Sie ja bereits seit über 15 Jahren mit dem Thema Customer-Journey- und Touchpoint-Management unterwegs. Verkommen diese Anglizismen nicht zu inflationär eingesetzten Worthülsen?
Christoph Spengler: Gut, dass Sie das ansprechen!
Wir stellen fest, dass aktuell eine ziemlich babylonische Sprachverwirrung in der Branche und in Unternehmen vorherrscht.
Ich empfehle daher, dass man sich die Mühe macht, solche zentralen Begriffe rund um die Kundenzentrierung zu definieren. Erfahrungsgemäß hilft ein gemeinsames Verständnis dieser zentralen Begriffe die Kundenorientierung im Unternehmen weiter zu verankern.
Unter Kontaktpunkten oder eben Touchpoints verstehen wir alle möglichen Interaktionen eines (potenziellen) Kunden in seinem Informations- und Kaufprozess. Als Kundenreise oder Customer Journey bezeichnet man den Weg, dem eine Kundin oder ein Kunde folgt, bevor er/sie eine Kaufentscheidung trifft. Dieses Wissen über die Touchpoint-Nutzung muss in einem nächsten Schritt in die Gestaltung von Kundenprozessen bzw. Customer Processes einfließen. Oft spricht man von Customer Journeys, meint aber letztlich Customer Processes.
Welche Touchpoints sind während der Pandemie dazu gekommen, welche weggefallen? Welche haben sich als die wichtigsten herauskristallisiert?
Christoph Spengler: Ganz allgemein kann festgehalten werden, dass das Informationsbedürfnis gestiegen ist. Es werden viel mehr Touchpoints genutzt. Vor einem Kauf oder Abschluss einer Dienstleistung wird wesentlich mehr recherchiert und verglichen – und dies nicht bloß online. Natürlich unterscheiden sich die Journeys stark nach Produktkategorie oder Zielgruppe.
Im Weitern haben wir festgestellt, dass der Trend aktuell ganz klar auf den owned und earned Touchpoints liegt.
Viele paid Touchpoints haben in den letzten zwei Jahren an Reichweite und auch Relevanz verloren. Unternehmen waren gezwungen neue, innovative Touchpoints in ihrem Beratungsalltag zu etablieren, wie z.B. Chatbots, Voicebots oder Video-Support per Smartphone.
Gerade im Kontext von diesen neuen, teils auch disruptiven Touchpoints sind die Erwartungen der Kundinnen und Kunden hoch. Sie wollen heute vom Unternehmen verstanden werden bzw. sich diesem nahe fühlen. Unternehmen müssen in der Lage sein, empathisch auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kundinnen und Kunden zu reagieren.
Was macht es so schwierig, die richtigen Touchpoints im Unternehmen zu identifizieren?
Christoph Spengler: Die Marktbearbeitung ist so komplex wie nie zuvor. Die Digitalisierung sorgt für eine unübersichtliche Menge an Touchpoints und Daten. So managen heute bereits mittelgroße Unternehmen weit über 200 Touchpoints entlang der Customer Journey.
Rein intuitiv die zentralen Touchpoints zu eruieren, ist schlicht unmöglich. Eine datenbasierte Entscheidungsgrundlage bzw. Objektivierung kann helfen, bessere Entscheidungen zu treffen.
Macht es überhaupt Sinn, alle Touchpoints im Blick zu haben oder kann man sich nicht auch auf die Wichtigsten fokussieren?
Christoph Spengler: Im Blick sollte man grundsätzlich alle möglichen analogen und digitalen Touchpoints haben – also auch solche, welche das Unternehmen noch gar nicht nutzt, aber von der Konkurrenz angeboten werden.
In Anbetracht des immer kleiner werdenden Budgets und den immensen Streuverlusten macht es aber natürlich wenig Sinn, auf allen Touchpoints aktiv zu sein.
Es ist somit zentral zu wissen, welche Touchpoints für die Zielgruppen relevant sind. Nur so kann man zur richtigen Zeit mit dem richtigen Inhalt auf den relevanten Touchpoints präsent sein. Hier gilt: Weniger ist häufiger mehr.
Wie identifizieren Sie diese „Schlüssel-Touchpoints“? Welche Methode setzen Sie dazu ein?
Christoph Spengler: Um die Daten rund um die Touchpoints zu erheben, befragen wir Kundschaft sowie Nicht-Kundschaft mit unserer wissenschaftlich validierten Methode. Hierbei erheben wir neben der Reichweite (Breitenwirkung) auch die Relevanz (Tiefenwirkung) der Touchpoints.
Auf Basis der erhobenen Datengrundlage berechnen wir algorithmusbasiert die zentralen Schlüssel-Touchpoints in Vertrieb, Marketing und Kommunikation. So sind wir in der Lage je nach Aufgabenstellungen präzise und überprüfbar den wirkungsstärksten Mix für Strategien und Kampagnen zu simulieren. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern macht unsere Auftraggebenden auch erfolgreicher.
Unsere Befragungsmethode haben wir mit der Universität Zürich entwickelt und validiert. Die verwendeten Algorithmen wurden im Rahmen von zwei InnoSuisse-Forschungsprojekten entwickelt und bewähren sich seit über zehn Jahren in der Praxis.
Konsumenten werden gerade beim digitalen Einkauf ständig und überall zu ihrer Zufriedenheit befragt. Wie schafft man es, dass Menschen an der Vielzahl von Mikroumfragen zukünftig überhaupt noch teilnehmen?
Christoph Spengler: Über den Sinn bzw. Unsinn von solchen Mikroumfragen kann man streiten. Meiner Meinung nach ist es für Kundinnen und Kunden eher anstrengend, wenn sie an jedem Touchpoint zu ihrer Zufriedenheit oder ihrer Bereitschaft für eine Weiterempfehlung befragt werden.
Aus diesem Grund sollte man solche Mikroumfragen viel gezielter einsetzen, um auch neues Wissen zu generieren. Häufig werden solche Umfragen an Orten eingesetzt, wo die Erfolgsfaktoren eigentlich ziemlich klar sind. Vieles kann man heute messen und selber beurteilen, ohne Kundinnen und Kunden direkt zu fragen. Umso mehr erstaunt es mich, dass noch immer so viele Kundenprozesse kompliziert und mit unnötigen Hürden vollgepflastert sind.
Die Kundenerwartungen der Deutschen haben sich während der Krise sicher verändert. Welche Veränderungen haben Sie in der Costumer Experience wahrgenommen? Was wird jetzt erwartet von Unternehmen?
Christoph Spengler: In unseren Untersuchungen stellen wir fest, dass die Corona-Pandemie bei den meisten Themen und Branchen für einen Digitalisierungsschub gesorgt hat. Omnichannel ist selbstverständlich. Diese Erwartungshaltung ist jetzt in unserem Tagesablauf fest verankert – beim Arbeiten, in der Ausbildung, beim Einkaufen, beim Reisen oder auch in der Freizeit.
Customer wollen vom Unternehmen verstanden werden. Das heißt, dass sie auf den aus ihrer Sicht relevanten Touchpoints abgeholt werden wollen.
Eine reine Push-Kommunikation bzw. Gießkannen-Kommunikation ist somit selten zielführend. Sie wollen heute ganz individuell angesprochen und behandelt werden. Daher ist es erfolgskritisch, über eine Methode zu verfügen, die es ermöglicht, Kundenwissen noch viel besser in Kommunikation bzw. in das Customer Relationship Management einzubauen.
Welche Zielgruppe sprechen Sie mit Ihrem Web-Seminar an?
Christoph Spengler: Neben (Betriebs-)Marktforschenden richtet sich das Webinar an Entscheidende in Vertrieb, Marketing, Service und Kommunikation, welche sich mit der Geschäftsentwicklung, Customer Experience, Customer Insights und Digitalisierung befassen.
Welchen Tipp können Sie unseren Leserinnen und Lesern in Bezug auf ihr Touchpoint-Management auf den Weg geben?
Christoph Spengler: Die Technologie für die Digitalisierung, Automatisierung und Individualisierung ist verfügbar. Jetzt geht es darum, mit herausragenden Kundenerlebnisse den Unterschied zu machen. Dazu muss relevantes Kundenwissen in die Marktbearbeitungs- und Kundenprozesse transferiert werden.
Fachbeitrag zum Thema
Komplexität in der Customer Journey erfolgreich managen
Das Original wurde publiziert auf: https://www.marktforschung.de/aktuelles/interviews/marktforschung/