Für die erfolgreiche Gestaltung eines Kundenerlebnisses sind viele wichtige Nebensächlichkeiten zu beachten. Dazu gehört auch die Anrede: Sollen Kundinnen und Kunden geduzt oder gesiezt werden? Wie lässt sich das Du-oder-Sie-Dilemma in der Marktbearbeitung umgehen?
Wie allseits bekannt, beginnt jede funktionierende Kommunikation mit der passenden Anrede. Das wusste auch der frühere Kanzler Helmut Kohl, als er dem US-Präsidenten Ronald Reagan «You can say you to me!» vorschlug. Denn ein herzliches, warmes Du kommt auch im Deutschen gefühlt viel respektvoller daher als ein förmliches Sie. Vor allem, wenn wichtige Themen zu besprechen sind oder erfolgreich verkauft werden soll. Ungefragt duzen kann jedoch auch rasch zu Irritationen führen, was der Ex-Kanzler ganz bestimmt vermeiden wollte.
Im Gegensatz zum Deutschen hat die Anrede mit dem Vornamen im Englischen bekanntlich eine wesentlich kleinere Bedeutung und mit einem «You» duzt und siezt man sich auch nicht automatisch. Aber darum geht es jetzt gar nicht, auch wenn die englische Sprachpraxis bei diesem Thema wohl auch ein bisschen zur Verwirrung beiträgt.
Ein Du mit Ablaufdatum
«Könnten Sie mir bitte kurz die Fahne bedienen?». So was hört man von Golferinnen und Golfer eigentlich nie! Auf einem Parcours mit 18 Löchern duzt man sich in der Regel. Schliesslich kann ein solcher Journey auch mal leicht fünf Stunden dauern. Entsprechend kann ein Spieler seinen flüchtig bekannten oder unbekannten Mitspielerinnen und Mitspieler ein sogenanntes Tages-Du anbieten. Diese Du-Form verflüchtigt sich aber am nächsten Tag und mutiert dann wieder zu einem förmlichen Sie. Muss gar nicht so schlecht sein, denn schliesslich will man nach einer Golfrunde auch nicht mit jedem per Du sein, oder?
Vom Hörensagen weiss ich, dass ein Tages-Du auch auf Betriebsausflügen zum Einsatz kommen kann. Heute per Du und morgen wieder per Sie. Ich weiss nicht, wie es Ihnen dabei geht, aber irgendwie finde ich ein Du mit Ablaufdatum ziemlich merkwürdig.
Irritationen im Kundenerlebnis
Vor wenigen Tagen machte ich eine Erfahrung, die mich offen gesagt schon ein wenig irritierte. Vielleicht lag es auch an der Tagesform. Ja, es mag ja wirklich ein Detail sein, sagen wir uns nun «Du» oder «Sie»?
Ich registrierte mich im neuen Onlineshop eines Modegeschäftes, bei welchem ich schon über zwanzig Jahre einkaufe. Ach, was hatte ich da schon alles anprobiert. Nicht überraschend bei dieser Top-Beratung und Auswahl. Stunden, wenn nicht Tage habe ich dort verbracht.
Zurück zur Registration: «Hallo, geben Sie hier Ihre Informationen ein». Der ganze Prozess verlief friktionslos, Kompliment. Dann noch das Bestätigungsmail: «Willkommen Christoph!». Und zack war ich per Du. War dieses «Du» das Willkommensgeschenk oder eine Fehlprogrammierung? fragte ich mich.
Ich klickte zweimal und startete meine Shopping-Tour und freute mich darauf, die gekaufte Ware im nächsten Geschäft mit Click&Collect abholen zu können. Sie ahnen es bereits: Im Shop waren wir dann alle wieder beim gewohnten «Sie» - so wie seit vielen Jahren. Es war ein richtiges Durcheinander! Für mich passte es, weil gewohnt.
Zwischendinger zwischen Du und Sie
Ganz so einfach ist es mit dem Du in den deutschsprachigen Ländern offensichtlich nicht. Je nach Branche oder auch Situationen fällt es uns gar nicht so leicht zu entscheiden, wann ein Du und wann ein Sie angebracht ist. Nachfolgende Beispiele verdeutlichen das Du-oder-Sie-Dilemma:
- Mit der Deutschen Bahn ist man eigentlich per Sie – konsequent geduzt auf Facebook, Twitter & Co: Erstaunlich viele duzen im Blog, formulieren alle anderen Texte jedoch mit Sie.
- Ikea, häufig als Du-Vorzeigemarke bezeichnet, duzt quasi überall mit Ausnahme des Kundengesprächs, wo man in der Regel zum Sie greift.
- Es ist kaum ein halbes Jahr her, als eine Schweizer Grossbank mit viel Trara den Wechsel aufs Du im Umgang mit Kundinnen und Kunden ankündigte. Auch Krawatte und Anzug sollten verschwinden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind jetzt cool und hip. Ich schätze, davon ist nicht viel übriggeblieben.
- Oder in der Gastronomie: Barista bei Starbucks fragt nach dem Vornamen. Nie würde Frau Müller auf dem Pappbecher stehen. Im Gegensatz dazu spricht McDonald’s seine Kundinnen und Kunden per Sie an.
- In der Freizeit, Sport und auch in Sportgeschäften wird man in der Regel mit Hoi und Du angesprochen.
- Und dann gibt es auch weiterverbreitet noch die Ohne-Du-oder-Sie-Sprache: nur Formulierungen, mit denen eine Anrede unterdrückt werden kann.
Ein kleines Durcheinander schadet nicht
Meine Beobachtungen zeigen, dass vieles nicht wirklich konsistent daher zu kommen scheint. Muss es auch nicht zwingend, weil wir uns mit dem Thema doch auch ein wenig schwer tun. Und vielleicht ist das gerade auch die Lösung, denn die Wahrheit über das Siezen oder Duzen liegt irgendwo in der Mitte.
Die Anrede allein macht nicht distanziert, persönlich oder locker. So kann auch ein Du-Text total unpersönlich sein, während ein Sie-Text lässig beim Leser ankommt. Hauptsache die Kundeninteraktionen sind entspannt und alle fühlen sich wohl.
- Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte es keinen Druck geben, Kundinnen und Kunden konsequent zu Duzen. Denn nicht für jeden ist es ganz einfach, ein Du im direkten Kundenkontakt umzusetzen.
- Es passt schon, dass wir auf Facebook per Du sind und im Shop per Sie. Nichtsdestotrotz sollten Kundinnen und Kunden in einem überschaubaren Prozess oder über zusammenhängende Touchpoints nicht zu häufig unterschiedlich angesprochen werden.
Hat der Customer Experience Manager ein Auge drauf? In der Regel erzielt ein Unternehmen bereits gute Fortschritte, wenn die Verantwortlichkeiten auch beim besprochenen Thema geregelt sind. Was für mich ganz bestimmt immer dazu gehört, ist die Freundlichkeit und der Respekt füreinander. Diese beiden sollten in allen Kundeninteraktionen entlang der Customer Journey nicht verloren gehen.
Der Original-Text wurde publiziert auf cmm360.ch:
https://www.cmm360.ch/kundenerlebnis-you-can-say-you-to-me
cmm360 - Kundenerlebnis: "You can say you tu me!" - 2021